Behindertentestament

Bei behinderten Kindern ist zusätzlich zu den übrigen, im Rahmen einer Erbfolgeregelung anzustellenden Überlegungen zu berücksichtigen, dass Behinderte häufig Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Anspruch nehmen. Sie müssen in diesen Fällen nicht nur ihr eigenes Vermögen einsetzen. Der Sozialhilfeträger ist auch berechtigt, Ansprüche des behinderten Kindes gegen Dritte auf sich überzuleiten (§ 90 BSHG). Dies gilt auch für Erb-, Vermächtnis- und Pflichtteilsansprüche, und zwar auch dann, wenn der Berechtigte selbst diese Ansprüche nicht geltend gemacht hat und dies auch gar nicht beabsichtigt. Nicht eingesetzt werden muss lediglich ein bestimmtes Schonvermögen im Sinne das § 88 BSHG, so z.B. das vom Behinderten selbst bewohnte angemessene Hausgrundstück (§ 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG).

Darüber hinaus kann der Sozialhilfeträger den Erben eines Hilfeempfängers für den Ausgleich der erbrachten Leistungen der letzten 10 Jahre vor dem Erbfall in Anspruch nehmen (§ 92 c BSHG).

Insbesondere für die Eltern eines behinderten Kindes stellen sich somit bei ihrer Erbfolgegestaltung zusätzliche besondere Fragen. Einerseits soll in der Regel das behinderte Kind nicht ganz leer ausgehen, andererseits ist für die Familie häufig nicht einsichtig, dass, wenn das behinderte Kind etwas erbt, der Sozialhilfeträger diesen Erbanspruch auf sich überleiten kann und damit im Ergebnis das Kind nichts erhält, sondern sein Erbteil an den Staat fließt. Letztlich soll vermieden werden, dass nach dem Tod des Behinderten Vermögen an den Sozialhilfeträger fällt. Das behinderte Kind soll Vermögen erhalten, von dem es selbst etwas hat.

Soll das Vermögen der Eltern dem Zugriff des Sozialhilfeträgers ganz oder teilweise dauerhaft entzogen werden, so bieten sich hier zwei Möglichkeiten an.

1. Übertragung zu Lebzeiten

Zum einen kann das Vermögen zu Lebzeiten bereits auf eine andere Person (bspw. einen nicht behinderten Abkömmling) übertragen werden – allerdings mit allen aus der Vermögensübertragung zu Lebzeiten resultierenden Konsequenzen (endgültige Weggabe des Vermögens, ohne die künftige Entwicklung absehen zu können). Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass dem behinderten Kind der Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. § 2325 BGB zusteht, wenn zwischen Vermögensübergabe und Erbfall noch keine 10 Jahre vergangen sind. Auch dieser Pflichtteilsergänzungsanspruch ist gem. § 90 BSHG auf den Sozialhilfeträger überleitbar.

2. Testamentarische Regelung

In der Praxis wird aus diesen Gründen zumeist einer testamentarischen Regelung der Vorzug gegeben, die in einer Kombination aus der Anordnung der Vor- und Nacherbfolge mit einer Testamentsvollstreckung besteht. Das behinderte Kind wird mit einem Erbteil als nicht befreiter Vorerbe eingesetzt, der etwas höher als sein Pflichtteilsanspruch ist. Die (nicht behinderten) Geschwister oder andere Personen werden als Nacherben eingesetzt. Zusätzlich kann noch für den Erbteil des behinderten Kindes Testamentsvollstreckung als Dauervollstreckung angeordnet werden. Dabei können dem Testamentsvollstrecker konkrete Anweisungen hinsichtlich der Verwaltung des Erbteils gegeben werden, so z. B. die Anordnung, dass dem behinderten Kind aus den Erträgen des Vermögens lediglich Beträge im Rahmen des Schonvermögens (§ 88 BSHG) zur freien Verfügung gestellt werden dürfen.

Der Sozialhilfeträger kann eine so gestaltete Erbschaft nicht für den behinderten Erben ausschlagen, um den Pflichtteilsanspruch geltend zu machen, da das Ausschlagungsrecht als höchstpersönliches Gestaltungsrecht nicht nach § 90 BSHG überleitbar ist. Ist für das behinderte Kind ein Betreuer bestellt, so hat dieser zwar grundsätzlich zu prüfen, ob eine Ausschlagung der Erbschaft und Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nicht günstiger für das Kind wäre. Regelmäßig wird jedoch die beschränkte Erbenstellung immer noch günstiger sein, da das Kind bei Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nicht einmal die Nutzungen des Vermögens erhält, weil der gesamte Pflichtteilsanspruch an den Sozialhilfeträger übergeleitet wird.

Nach dem Tod des behinderten Kindes werden der oder die Nacherben zivilrechtlich (im Gegensatz zum Erbschaftsteuerrecht) Erben des Erblassers und nicht des Vorerben (vgl. § 2100 BGB), so dass kein (eigenes) Vermögen des behinderten Kindes übergeht. Infolgedessen kommt eine Geltendmachung des Anspruchs auf Kostenersatz für die Aufwendungen des Sozialhilfeträgers für den Hilfeempfänger gem. § 92 c BSHG hinsichtlich der Kosten der letzten 10 Jahre ebenfalls nicht in Betracht.

Diese Gestaltung ist von der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt – sie ist auch nicht als sittenwidrig zu Lasten des Sozialhilfeträgers beurteilt worden.

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